Warum das Thema „Erziehung“? Geht es in unserer Gesellschaft heute nicht eher um Bildung? Um Eingliederung in die Gesellschaft? Forderungen der Wirtschaft?
Tatsächlich ruft der Begriff Erziehung oft negative Assoziationen hervor. Man verbindet ihn mit Disziplin und im Extremfall mit Indoktrination, er erscheint angestaubt und überholt. Widerspricht sein Anspruch nicht unserem Bestreben nach Selbstbestimmung?
Dennoch bleibt der Begriff auch weiterhin aktuell: Eltern sind laut Grundgesetz erziehungsberechtigt und sogar erziehungsverpflichtet; bei Erziehungsversagen nimmt sich der Staat das Recht zur Überwachung; hinzu kommt der Erziehungsauftrag der Schule, dessen inhaltliche Ausgestaltung jedoch umstritten ist. Die aktuellen Diskussionen um Pisa-Studie und Bologna-Reform, verkürzte Schulzeit, Forderungen von Eltern und Lehrern sowie Erwartungen der Arbeitgeber zeigen, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, worum es in der Erziehung eigentlich geht.
Das kommende Rhein-Meeting am 20.–22. März 2015 trägt den Titel „Das Wagnis der Erziehung“: Wagnis, natürlich auch, weil Erziehungsbemühungen scheitern können, aber insbesondere, weil sie eine Herausforderung an alle Beteiligten darstellen. So betont der italienische Priester und Erzieher Luigi Giussani in seinem Buch, das für das diesjährige Meeting titel- und ideengebend war, dass jegliche Erziehung ein Vorschlag ist, den der andere mit seiner ganzen Vernunft und seiner ganzen Freiheit zu prüfen hat. Nur ein konkreter Vorschlag kann kritisiert werden und zu Zustimmung, Ablehnung oder Verbesserung führen. Keinen Vorschlag zu machen heißt hingegen so viel wie: Eigentlich lohnt es sich nicht, sich damit zu beschäftigen. Hannah Arendt spricht im Hinblick auf eine solche Haltung von einer Weigerung der Erwachsenen, Verantwortung für die Welt zu übernehmen.
Was den Erziehenden dazu berechtigt, einen inhaltlichen Vorschlag zu machen, ist der Wunsch, dass der Heranwachsende zu eigenen, begründeten Überzeugungen gelange und eine klare Haltung zu den entscheidenden Fragen des Lebens einnehmen kann. Dies betrifft insbesondere die Fragen nach dem Wert der eigenen Person und dem Sinn des Lebens: Wann bin ich wirklich ich? Wie kann ich meine Identität erkennen und entfalten?
Ein so verstandener Prozess der Erziehung ist nie abgeschlossen und kann daher nicht auf den ursprünglichen Bereich der Familie beschränkt bleiben. Beim Rhein-Meeting 2015 wollen wir uns auf die gesellschaftlich relevante und interessante Dimension der Erziehung im Kontext von Schule und Arbeitswelt konzentrieren.
Wir laden herzlich dazu ein, sich mit uns auf dieses Wagnis einzulassen!