Thema-2025

Versuche in der Wahrheit zu leben

„Besser die Hände als den Willen gefesselt“, schrieb der Österreicher Franz Jägerstätter am 9. August 1943 kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nazis. Er hatte aus Gewissensgründen Hitler die Gefolgschaft verweigert. Als Christ könne er nicht Teil seiner verbrecherischen Gräueltaten werden. Das Rhein-Meeting 2025 will sich solchen „Versuchen in der Wahrheit zu leben“ widmen: Zeugen für die Würde und Freiheit des Menschen, ob in Osteuropa, dem arabischen Raum oder inmitten unserer westlichen Gesellschaft.

Was aber heißt „in der Wahrheit leben“? Der tschechische Dramatiker, Menschenrechtler und Politiker Václav Havel (1936–2011) hat dieser Frage ein Buch gewidmet, dem der Titel des diesjährigen Rhein-Meetings entlehnt ist. Havel hatte schon vor 50 Jahren den kommunistischen Osten Europas als „posttotalitäres System“ bezeichnet. Für ihn ging es auch im Westen „schon längst nicht mehr um das Problem irgendeiner politischen Linie oder eines Programms: Es geht um das Problem des Lebens“; dass der Mensch „wieder die Verantwortung für sich selbst“ übernimmt.“ Das Interessanteste an der Verantwortung ist, „dass wir sie hier und jetzt akzeptieren und begreifen müssen, an eben der Stelle in Raum und Zeit, an die uns das Schicksal gestellt hat“.

Dem Rhein-Meeting geht es nicht um eine weitere Analyse der Krise, sondern darum, vor allem Lebenszeugnisse zur Sprache kommen zu lassen von Menschen, die sich dieser Verantwortung stellen. Einer davon ist Franz Jägerstätter, der 2007 seliggesprochen wurde. Die Biographin Erna Putz wird über das Leben Jägerstätters und seiner Bedeutung für die Gegenwart sprechen. Die österreichische Theologin und Politologin stand über Jahrzehnte in enger Beziehung zur 2013 verstorbenen Ehefrau Franziska.

Der Erinnerung an die unzähligen Opfer der Sowjet-Diktatur ist die Menschenrechtsorganisation Memorial International verpflichtet. Diese wurde 1989 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegründet und erhielt 2022 den Friedensnobelpreis. Im selben Jahr wurde sie von den russischen Behörden verboten. Memorial will die politische Gewaltherrschaft aufarbeiten, tritt für die Einhaltung der Menschenrechte ein und sorgt sich um die Überlebenden. Irina Scherbakowa, Vorsitzende der Nachfolgeorganisation „Zukunft Memorial“, wird auf dem Meeting über ihre Arbeit und ihre Erfahrungen berichten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Kriege in Tschetschenien und der Ukraine.

Auch die Religion kann ideologische, totalitäre Züge annehmen, wie beim fundamentalistischen Islam. So zahlen auch heute viele Menschen aus dem arabischen Raum allein für ihre Hinwendung zum Christentum einen hohen Preis; von einfachen Formen der Diskriminierung bis zur gewaltsamen Verfolgung. Aber nicht nur in ihren Heimatländern, sondern selbst als Flüchtlinge, die in Westeuropa Schutz suchen.

Was bewegt Konvertiten, solche Opfer auf sich zu nehmen? Welche Bedeutung kann ihr Zeugnis für unser Leben haben? Darüber wollen Anna Maria Jalalifar und Manuel Bagdhi berichten, die sich in Wien um ehemalige Muslime kümmern, die wegen ihres Wechsels zum Christentum bedrängt und verfolgt werden.

Wie aber kann es dem Menschen gelingen, ganz in der Wahrheit zu leben? Dieser Frage will der italienische Ordensgeistliche und emeritierte Bischof von Reggio Emilia-Guastalla, Massimo Camisasca, anhand des Lebenszeugnisses von Don Luigi Giussani nachgehen. Er gilt als Kenner von Giussani‘s Denken und Wirken.

Der 2005 verstorbene italienische Priester und Theologe bemühte sich um ein Verständnis des Christentums, das die Fragen und Anliegen des modernen Menschen aufnimmt - befreit von den Schichten bürgerlicher Verkrustungen und einem Moralismus. Seinem Vorbild folgen heute weltweit über 150.000 Mitglieder der kirchlichen Bewegung von Comunione e Liberazione / Gemeinschaft und Befreiung.

Ausgangspunkt von Giussani‘s Denken ist dabei der „religiöse Sinn“, das tiefe menschliche Bedürfnis nach Glück, Liebe und Erfüllung als eigentlichem Antrieb des Lebens. Er entdeckte diese Sehnsucht in bedeutenden Dichtern ebenso wie in den Beweggründen der Studentenrevolte von 1968 und in seinen Freundschaften zu Vertretern anderer Religionsgemeinschaften.